33 Prozent Deutschlands sind von Wald bedeckt. Das entspricht über 90 Milliarden Bäumen: eine unvorstellbare Zahl. Doch rund 58 Prozent der deutschen Bevölkerung leben, Stand 2017, in Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern. Für viele von diesen wird der Ausflug in den Wald oder in die Berge zu einem echten Erlebnis. Ein neuer Trend ist auch die Waldtherapie und das Waldbaden. Was hat es mit diesen Begriffen auf sich? Ist das Wort „Therapie“ gerechtfertigt? Welche Effekte hat ein Waldbesuch auf uns? Und wie können wir ihn erleben?
Für viele ist ein Waldbesuch nichts Alltägliches mehr und damit scheint auch der Hype der Waldtherapie entstanden zu sein. Die einen verwenden den Wald als „Co-Therapeut“ in einer Psychotherapie, andere bieten Entspannungskurse an. Eine eindeutige Definition oder Beschreibung gibt es nicht: Jeder versteht und interpretiert Waldtherapie etwas anders.
Der Ursprung der Waldtherapie ist das „Shinrin yoku“ aus Japan. Übersetzt heißt es so viel wie Waldbaden. Auch wenn es mit Schwimmen eher weniger zu tun hat, geht es stattdessen um das „Eintauchen“ in den Wald. In Japan gibt es diese Heilmethodik schon seit 1982 und ist dort, ebenso wie in den USA und Südkorea, auch als Therapiemethode anerkannt.
Auch in Europa werden Heil- und Kurwälder, die bisher vor allem im asiatischen Raum zu finden waren, vermehrt aufgebaut. Der erste europäische Heilwald befindet sich in der Nähe des Ostseebads Heringsdorf auf Usedom und wurde 2016 eröffnet. Dort finden sich Therapieplätze, Ruhegelegenheiten und Kletterparcours.
Für die Bezeichnung eines Heil- und Kurwaldes sind verschiedene Kriterien erforderlich. Vorreiter dafür ist in Deutschland Mecklenburg-Vorpommern. Zu den Voraussetzungen gehören: bestenfalls ein Mischwald, nicht zu dicht bewachsen mit viel Licht, Farbenreichtum, Biodiversität und verschiedene Formen und Höhen sowie unterschiedlichen Strukturen der Pflanzenwelt.
Um das Gefühl des Waldbadens zu erreichen, ist aber vor allem auch das individuelle Gefühl wichtig. Schließlich hat jeder andere Präferenzen und Vorlieben und benötigt individuelle Gegebenheiten, um sich im Wald erholen und entspannen zu können. Das macht das Finden von allgemeinen Kriterien schwierig.
In Studien wurden positive Effekte des Waldes beziehungsweise vor allem der Luft untersucht. Ein Aufenthalt im Wald soll Stress mindern, das Stresshormon Kortisol reduzieren, den Blutdruck senken und den Puls verlangsamen. Einigen Studien zufolge wird dies den sogenannten Terpenen zugeschrieben, sie sollen das Immunsystem stärken und zusätzlich die Anzahl der weißen Blutkörperchen erhöhen. Terpene sind chemische Verbindungen, die von den Pflanzen abgegeben werden. In einer Studie wurde die Wirkung von Waldluft auf Probanden in einem Hotelzimmer untersucht und dabei die erhöhte Anzahl weißer Blutkörperchen festgestellt. Kritisiert wird jedoch, dass die Menge an Terpenen im Wald zu niedrig sei für die in der Studie erzielte Wirkung. Die Ursache der erhöhten Immunantwort könnte stattdessen eine andere sein: der Duft des Waldes ruft in vielen Fällen eine positive Assoziation hervor und ist mit schönen Erinnerungen verbunden, was zu einem positiven Effekt führt und damit auch zu der erhöhten Menge an Killerzellen. Von klein auf verbinden wir den Wald mit einem schönen Spaziergang mit den Eltern und später als Ort der Auszeit von der Arbeit oder als Ort zur körperlichen Betätigung, sei es zum Joggen, Wandern, Rad fahren oder Nordic Walking. Eine Studie von Barak im Jahr 2006 hat genau diese positiven Emotionen mit der verbesserten Immunantwort verbunden.
Auch die Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung steigert sich nach einem Aufenthalt im Wald. Dies ist vor allem auf die Geräuschkulisse zurückzuführen, die die meisten, vor allen die Städter unter uns, tagtäglich umgibt und die im Wald schlichtweg ausbleibt und zu mehr Fokus führt.
Problematisch ist bei vielen durchgeführten Studien zum Thema Waldbaden und Waldtherapie, dass sie in Japan und dem asiatischen Raum durchgeführt wurden. Jedoch ist die Bewaldung dort ganz anders im Gegensatz zu den europäischen Wäldern. Dadurch ist der Rückschluss auf Terpene wohl auch nicht einfach auf die europäische Bewaldung übertragbar.
Um diese nicht zu verleugnenden positiven Effekte, egal welche Ursache sie haben, zu erzielen, werden mindestes 30 Minuten im Wald, zweimal die Woche empfohlen.
Kritisch sehe ich vor allem den Begriff der (Wald-) Therapie. Auch wenn die positiven Effekte nicht von der Hand zu weisen sind, ersetzt der Wald keine Therapie bei ernsthaften psychischen Problemen. Nach Oxford Languages wird Therapie als „Verfahren, Methode zur Heilung einer Krankheit“ bezeichnet. Und gerade das Wort Heilung erscheint in Bezug auf den Aufenthalt in einem Wald übertrieben.
Wissenschaftlich nicht belegt ist auch die Behauptung, dass verschiedene Baumarten verschiedene Wirkungen haben. Die einen sollen den Geist schärfen, die anderen entspannen. Den Wald als Ort der Entspannung, der Bewegung und des Ausgleichs zu nutzen ist hingegen sehr überzeugend und hat mit Sicherheit auch positive psychische Effekte.
Diese verbesserte Psyche hat auch Einfluss auf das körperliche Wohlbefinden und kann zur Unterstützung gegen Krankheiten genutzt werden, jedoch nicht als eigenständige Therapie. Der Wald lässt sich somit als Primär- und Sekundärprävention nutzen, das heißt, um Krankheiten vorzubeugen und entgegenzuwirken.
Eine Möglichkeit, den Wald für sich zu nutzen, ist das Nordic Walking. Es bietet sich für Jung und Alt an, für fitte Menschen und weniger sportliche. Das Genießen des Waldes zusammen mit der leichten körperlichen Aktivität wird von vielen Teilnehmern als besonders angenehm empfunden. Man kann den Wald förmlich in sich aufnehmen und ihn durch die zurückgelegte Strecke erkunden und kennenlernen. Dabei lernt man viel über den Wald und sich selbst. Von den gesundheitlichen Vorteilen des Nordic Walkings, die nachweislich auch einen Effekt auf die Psyche haben, ganz zu schweigen. Das bietet, auch wenn es nicht dem klassischen Waldbaden entspricht, eine entspannende Möglichkeit den Wald kennen- und wahrnehmen zu lernen. Nebenbei erfahren Sie Vieles über die Geheimnisse und das Leben des Waldes selbst.
Der Wald bietet eine Erholungsmöglichkeit, die viele von uns schon seit Jahren oder Jahrzehnten in dem immer hektischeren und lauteren modernen Leben nutzen. Dieses Erlebnis kam nicht erst mit dem Trend der Waldtherapie.