Sind wir mal ehrlich: Gibt es etwas Wohltuenderes als eine duftende, wärmende, selbst gekochte Mahlzeit im Beisein unserer Liebsten? Essen wird schon seit Beginn der Menschheitsgeschichte auf unterschiedlichste Weise zelebriert. Es bringt uns Menschen zusammen, versorgt uns mit Energie, erhält im Optimalfall unsere Gesundheit und steht primär für Genuss. Das liegt zum einen an den Nährstoffen, die uns von innen heraus versorgen, aber vor allem an den Erinnerungen, wie gesellschaftliches Zusammenkommen, Familienabende etc., die wir mit Essen verbinden. Kulinarische Köstlichkeiten sind für viele von uns täglich kleine Lichtblicke und erhalten unsere Lebensqualität. Doch wieso gibt es dann so viele Menschen, die ein gestörtes Verhältnis zu Essen haben?
Tagtäglich werden wir alle mit neuen Informationen im Hinblick auf die „richtige“ Ernährungsweise überrollt. Paleo, High-Carb-Low-Fat, vegan, 30 Bananen am Tag, raw-diet und viele weitere Ernährungstrends kursieren auf sozialen Plattformen, in Zeitschriften und anderen Quellen. Hinzu kommen Aspekte wie empfohlene Kalorienbilanzen, Diättipps von Laien - oder auch - sog. Rollenbilder auf Instagram & Co.
Auch wenn man sich vielleicht zunächst nicht bewusst damit auseinandersetzen will, dringen diese Themen immer wieder in unser Unbewusstes ein und wir entwickeln eine Neigung dazu, unser eigenes Essverhalten zu reflektieren. Häufig vergleichen wir uns dann auch mit anderen Menschen und integrieren mehr und mehr rationales Denken in unser eigenes Essverhalten. Das hat zur Folge, dass wir nicht mehr aus Intuition essen, sondern vielmehr nach bestimmten Ideologien bzw. Empfehlungen.
Ein typisches Beispiel wäre hier die „empfohlene Rationsmenge“. Wenn man sich an einen Richtwert hält und diese Menge isst, obwohl man danach vielleicht noch nicht satt ist – oder andersherum – völlig überisst, verliert man das Vertrauen in das eigene Bauchgefühl.
Eine Frage, die man sich selbst immer mal stellen kann, ist: „Esse ich gerade, weil ich Hunger habe, oder bin ich eigentlich schon satt?“. Denn genau dann filtert man eigenständig heraus, ob das Essen – neben dem Hungergefühl - von anderen Gründen geleitet wird. Oft steht bei Menschen das Essen mit Erlebnissen aus der Vergangenheit in Verbindung. Ein Beispiel: Damals hat man Glückseligkeit verspürt, als man mit den Eltern ein Eis gegessen hat. Infolge dieses Ereignisses kann es sein, dass man sich ein Eis holt, wenn es einem nicht gut geht, um wieder glücklich zu sein. Die Lust bezieht sich eigentlich auf dieses Gefühl bzw. diese Erinnerung, jedoch nicht auf das Eis an sich. Hierbei spricht man von emotionalem Essen. Dieses Gefühl von „Es ist alles gut“ prägt uns Menschen schon seit der Steinzeit, denn damals bedeutete Essen, dass man wieder einmal Erfolg im Kampf ums Überleben hatte.
Viele kennen das Problem, weiter zu essen, obwohl sie gar keinen Hunger mehr haben. Das kann mehrere Beweggründe haben. Neben dem weit verbreiteten Essen aus Langeweile wäre da noch das Gefühl von Kontrolle, welches wir vielleicht in anderen Bereichen des Lebens gerade nicht verspüren. Insbesondere Menschen mit Zwangsneurosen neigen dazu, ihren Kontrollverlust mit Essen zu kompensieren. Aber auch der Belohnungsaspekt spielt eine entscheidende Rolle. Nach einem stressigen und vielleicht auch unschönen Tag sehnen sich Betroffene nach einer großen, befriedigenden Mahlzeit, die wieder Glücksgefühle weckt und somit die allgemeine Stimmung verbessert.
Zuletzt kann Essen auch als eine Art der Ablenkung dienen, wenn wir Themen, die uns mental belasten, aus dem Weg gehen möchten. Im Englischen bezeichnet man dies auch als „coping-mechanism“. Dieser Begriff bezeichnet das Essen als eine Art der Problemlösung. Wenn Betroffene mehrmals pro Woche Essattacken haben, in denen in sehr kurzer Zeit eine große Menge Nahrung konsumiert wird, könnte es sich um eine Binge-Eating-Störung handeln, bei der therapeutische Hilfe angeraten ist.
Ein erster Ansatz wäre es, dem Gefühl, welches mit dem Appetit gekoppelt ist, genauer auf den Grund zu gehen bzw. sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dabei hilft es, herauszufinden, welches Gefühl denn in dem Moment wirklich da ist. Wenn kein Gefühl spürbar ist, können sich Betroffene auch ihrer Gedanken bewusstwerden und von den Gedanken auf Gefühle schließen. Als nächsten Schritt kann man die Verbindung zwischen dem Essen und der damit verbundenen Ereignisse trennen und sich die Emotionen auf anderen Wegen „holen“. Anti-Stress-Bälle, Spaziergänge, Kontakt zu Menschen oder auch Bewegung sind nur wenige Beispiele für vergleichbare Methoden.
Essen impliziert Energie. Wenn man abends erschöpft ist und deshalb direkt zu Essen greift, um die Reserven wieder aufzufüllen, wäre es bspw. sinnvoller sich einen kurzen „power nap“ (Tagschlaf) zu genehmigen. Dies erlauben sich viele nicht, da sie denken, dass sie dann ihre Pflichten vernachlässigen, jedoch sind 10-15 Minuten meist schon vollkommen ausreichend. Falls dies trotzdem nicht möglich erscheint, könnten Betroffene allgemein mehr Ruhe in den Alltag integrieren und auch präventiv an Stressmanagement und Erholung arbeiten, um einen Schlafmangel im Vorhinein zu verhindern.
Im Falle des Überessens oder eines sog. „Binge“, sollte man auf keinen Fall das Essverhalten restriktiveren beziehungsweise exzessiv trainieren, um die Kalorienbilanz wiederherzustellen, oder seine Schuldgefühle auf diese Weise zu beseitigen. Betroffene sollten sich der Situation bewusstwerden, sie hinnehmen und dann wie sonst üblich fortfahren. Natürlich ist es okay, mehr Gemüse zu implementieren, um der Gesundheit etwas Gutes zu tun, aber auch das sollte mit Genuss erfolgen. Zusätzlich könnte einem die Fragestellung „Was darf ich aus der Situation lernen?“ eine neue, hilfreiche Sichtweise bieten. Essen ist Nahrung, Energie, Kraft und nicht nur Kalorien. Sich das bewusst zu machen, ist einer der wichtigsten Ansatzpunkte.
Falls Sie sich während des Artikels in einem oder mehreren Punkten angesprochen fühlen, ziehen Sie therapeutische Hilfe in Erwägung. In meiner Praxis habe ich mich auf gestörtes Essverhalten und Essstörungen spezialisiert und unterstütze meine Patient:innen mithilfe der kognitiven Verhaltenstherapie oder auch der lösungsfokussierten Kurzzeittherapie. Gemeinsam finden wir den Weg zurück in ein balanciertes Essverhalten.
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